Die Sprachbildung ist eine Kernaufgabe des Deutschunterrichts in der Sekundarstufe I (KMK, 2004, S. 6 f.). Sie soll die sprachliche Handlungsfähigkeit der Schüler*innen verbessern und damit zu einem bewussten Umgang mit der Sprache führen, welcher für die weitere Schullaufbahn und für das spätere Berufsleben unverzichtbar ist.
Anhand des lebensweltnahen Unterrichtsbeispiel zu digitalen Spielen sollen die Schüler*innen die Qualität und Machart von Let’s Play Videos kritisch analysieren, indem sie die sprachlichen Besonderheiten kennen und verstehen können. Diese werden ihnen anhand von kleinsten Wörtern (Prozeduren) aufgezeigt, die gezielt verwendet werden, um für das vorgestellte Spiel zu werben oder die Zuschauer*innen über einen länger anhaltenden Zeitraum zu unterhalten. Die Stimmung und das Spielgefühl muss durch die YouTuber*innen so aufgebaut werden, dass auch ohne eigene Beteiligung am Spiel weiterhin zugeschaut und Spaß aufgebaut wird.
Aufgrund des Lebensweltbezugs und der Altersempfehlung wird ein eine Durchführung in Jahrgangsstufe 6 oder 7, z.B. in der Themenreihe ‚Rund um den Computer‘, empfohlen. Zudem ist der Bezug zum Märchenhaften in dem Spiel gegeben, welches eher jüngere Schüler*innen anspricht. Dennoch ist die Analyse anhand der vorgegebenen (gekürzten) Transkriptionen anspruchsvoll, welche aber leistungsstarke Schüler*innen vor keine Probleme stellen wird. Gegebenenfalls kann auch eine qualitative oder quantitative Reduktion des Materials vorgenommen werden.
Das ausgewählte Videospiel, Ori and the Blind Forest, ist bereits 2015 veröffentlicht worden. Dennoch besticht es mit einer schön animierten 2D Grafik, mit zahlreichen Effekten und einer passend komponierten Musik, die perfekt die Stimmung beeinflusst, welches in dieser Qualität selten vorkommt. Zudem erinnert die ruhige Spielweise und die Abenteuergeschichte an ein modernes Märchen und ist entsprechend an dem Alter der Schüler*innen orientiert. Für das Spielen wird ein Alter ab zwölf Jahren empfohlen.
Gesteuert wird das Abenteuer aus einer seitlichen Perspektive, wie es für Jump’n’Run Spiele üblich ist. Dadurch erhält man einen Überblick über bevorstehende Hindernisse und Gefahren. Die Spieler*innen müssen im Laufe des Spieles Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Spielfigur erlernen, um die verschiedenen Level meistern zu können. Die hohe Herausforderung beim Spielen liegt in den Rätseln, die nicht nur für kleine Kinder zu anspruchsvoll sein können, denn das Spiel erfordert ein hohes Ausdauervermögen, Geduld, Nachdenken und ein nicht unwichtiges Talent, mehrere Tasten gleichzeitig des Controllers drücken zu können.
Aber so schön die Geschichte erscheint, so schnell werden die Spieler*innen in die Realität zurückgeholt: Der Wald Nibel stirbt und der kleine Waldgeist Ori bricht auf, um die Heimat und seine Freunde zu retten. Die Spieler*innen müssen mit der Figur hüpfen, Türen öffnen, Objekte verschieben und sich gegen Feinde verteidigen. Wie in einem Märchen fühlt sich die Welt dabei lebendig und mysteriös an, was sowohl die Zuschauer*innen beim Let’s Play Video erleben, aber vor allem diejenigen, die die virtuelle Welt mit dem Controller selbstständig durchschreiten.
„Und damit herzlich Willkommen bei einem neuen Let’s Play auf meinem Channel, wir spielen heute Ori and the Blind Forest…“
Ungefähr so beginnt Deutschlands erfolgreichster Let’s Player, Erik Range, der eigentlich nur als Gronkh bekannt ist, wenn er in einem separat eingerichteten Raum mit der Aufnahme zu einem neuen Spiel beginnt. Dabei sitzt er an seinem Schreibtisch, spielt stundenlang digitale Spiele, führt ein paar Selbstgespräche und verbalisiert alles, was ihm spontan einfällt. Anschließend muss das Video in gleichgroße Stücke geschnitten und schnell bei YouTube hochgeladen werden, damit die Zuschauer*innen täglich die neuesten Videos anschauen können. YouTube-Star zu sein ist einfach, oder?
Prinzipiell ist die Idee der Let’s Play Videos ziemlich unspektakulär, daher nehmen auch immer mehr Kinder und Jugendliche Videos von sich und ihren Reisen durch die virtuellen Welten auf und laden ihre Videos bei YouTube hoch.
In Let’s Plays werden digitale Spiele, oft Computerspiele, vorgeführt und die Handlung verbal beschrieben. Wie bei einer Fernsehserie können sich die Zuschauer*innen zurücklehnen und genießen. Nur hat diese Fernsehserie kein Drehbuch und die Hauptdarsteller*innen wissen selbst noch nicht, wie die Geschichte ausgeht. Und dennoch wirken die erfolgreichen YouTuber*innen nicht wie Amateure. Die Unterschiede sind schnell hörbar: Gronkh verziert seine Videos mit einer Stimme, die Qualitäten eines Synchronsprechers aufweisen. Der freundlich wirkende Spieler hat einen niemals enden wollenden Redefluss, beschreibt das Spielgeschehen, geht auf die virtuelle Welt ein, gibt Hintergrundinformationen für das eigene Profiwissen, reißt aber auch Witze oder erzählt Privates. Die Kunst, die Zuschauer*innen über Jahre hinweg "bei der Stange zu halten", ist der Grund, weshalb er mit 4,9 Millionen Abonnenten (Stand Juli 2021) den erfolgreichsten Gaming-Kanal Deutschlands betreibt.
Der Aufbau der Let’s Play Videos erfolgt immer nach demselben Prinzip:
- Ein Einstieg mit der Begrüßung der Zuschauer*innen,
- das Spielen des Videospiels mit gleichzeitiger Erzählung der Geschehnisse und Ansprechen der Zuschauer*innen („Let’s Play“ = „Lass uns spielen“) und
- eine mögliche Verabschiedung oder ein Schnitt an einer meist geeigneten Stelle.
Die Let’s Player*innen nehmen ihr Spiel über mehrere Stunden auf und die Folgen werden nachträglich geschnitten. So kann es vorkommen, dass keine Verabschiedung der Zuschauer*innen erfolgt und somit auch im nachfolgenden Video eine Begrüßung ausbleibt.
Einstieg
Der Einstieg in das Unterrichtsvorhaben und die Herleitung zum Bereich Gaming erfolgt anhand eines stummen Impulses mit einer Bildercollage (Material 1). Die Schülerinnen und Schüler werden schnell erkennen, dass es sich um YouTuber*innen handelt, vielleicht auch einzelne Personen erkennen, die anderen Influencer*innen möchten sie eventuell kennenlernen.
Wer ist das? Mit unterstützenden Fragen durch die Lehrkraft finden sie heraus, dass dort die erfolgreichsten Let’s Player*innen Deutschlands dargestellt sind. Auffällig ist, dass die Let’s Player-Szene von männlichen Spielern 'dominiert' wird. Die erfolgreichste YouTuberin im Bereich Gaming ist Pandorya, abgeschlagen mit großem Abstand und noch nicht einmal in der TOP 20 vertreten. Ein Grund dafür ist u.a., dass Jungen fast doppelt so viel digitale Spiele rezipieren wie Mädchen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018, S. 56).
Was spielen sie? In einem anschließenden Unterrichtsgespräch tauschen sich die Lernenden die Genres der Player*innen aus. Vielleicht ist einigen Schüler*innen bereits bekannt, welche Spiele vorwiegend gezeigt werden. Das ‚Klötzchenspiel‘ Minecraft ist immer noch beliebt und wird aktuell von mehreren Let’s Player*innen vorgeführt.
- Gronkh: Mit Minecraft bekannt und erfolgreich geworden, spielt alles, was ihm Spaß bereitet, gerne Indie Games[1]
- Paluten: Minecraft, GTA
- GermanLetsPlay: Retrogames, Flashgames, Minecraft
- rewinside: Fortnite, PlayerUnknown’s Battlegrounds, GTA, Minecraft
- Standart Skill: Fortnite, GTA
- Pandorya: Horror-Let’s Plays u.a.
Warum spielen sie? Im Anschluss daran werden gemeinsam die Ziele der Let’s Play Videos geklärt (Material 2). Die Schüler*innen tauschen sich innerhalb der Partner- oder Gruppenarbeit aus, sodass abschließend z.B. ein Tafelbild erstellt werden kann. Die mögliche Lösung (Material 2) kann von den Schüler*innen erweitert werden.
Im Folgenden werden die Lernenden das ‚Wie‘ (sie spielen) erarbeiten.
[1] Indie Games sind unabhängige Spiele ohne Geldgeber, die günstiger sind, aber durch ein kleines Entwicklerteam entstehen.
Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum
Die erste Analyse des vorgestellten Videospiels erfolgt mithilfe des ersten Teils des Beobachtungs- und Feedbackbogens (Material 3: Let's Player - Person, Technik, Video). Das Let's Play Video[2] sollte dazu entweder im Plenum - oder wenn möglich in Gruppen - angeschaut werden, um einen Überblick über das Spielgeschehen zu erhalten.
Die Bewertung des Let's Players erfolgt individuell nach den vorgegebenen Kriterien. Den Schülerinnen und Schülern wird auffallen, dass der Let’s Player mehr erzählt, als im Spiel zu sehen ist. Er verbalisiert sein Handeln im Spiel, versetzt sich in die Figur hinein und spricht die Zuschauer*innen mehrmals an, um dafür zu sorgen, dass sie das Spielgefühl miterleben, weil sie nicht aktiv am Spielen beteiligt sind.
Zudem wirbt und schwärmt der Let’s Player regelrecht für das Spiel, was vor allem zu Beginn des Videos zu erkennen ist. Die sprachliche Gestaltung des Videos wird den Lernenden als angenehm auffallen, denn der Let’s Player wirkt sympathisch, hat eine angenehme Stimme, ist beim Sprechen und Vorlesen verständlich und betont angemessen, somit wirkt das Let's Play auch aus technischer Sicht professionell. Einzig das Fehlen der Webcam kann als Kritikpunkt angesehen werden, jedoch würde das eingeblendete Bild des Let’s Players von dem wunderschön inszenierten Spiel ablenken.
[2] Video auf dem YouTube Kanal von Gronkh: "ORI AND THE BLIND FOREST [001] - Bittersüße Begegnung"
Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum
Im zweiten Schritt sollen die Lernenden anhand der Kategorien des Beobachtungs- und Feedbackbogens Kriterien für gute Let's Play-Videos entwickelt werden. Der vorgegebene Bogen kann ebenso genutzt werden (Material 3).
Bei der Verwendung des Beobachtungs- und Feedbackbogens bietet sich eine Aufteilung auf verschiedene Gruppen an, auch Kategorien innerhalb der zwei Themenbereiche können aufgeteilt werden, um dies so genau wie möglich zu untersuchen. Im Plenum werden die Ergebnisse anschließend an der Tafel zusammengetragen. Die Let’s Play-Ziele finden hier auch Berücksichtigung. Die Schüler konzentrieren sich dabei vor allem auf die inhaltlichen Komponenten, also das Erzählen und die sprachliche Gestaltung. Auffälligkeiten der Aufmachung können jedoch auch berücksichtigt werden und werden je nach Bekanntheit der Let’s Player*innen auch voneinander abweichen.
- Die "Sprache" bezieht sich auf das Sprechen des Let's Players, also wie verständlich seine Aussprache ist, ob die Geschwindigkeit angemessen ist, ob Betonung und sinnvolle Pausen genutzt werden und ob sich die Zuschauer*innen angesprochen fühlen.
- Die Kategorie "Erzählen" bezieht sich auf das inhaltliche Sprechen, auch über das Spiel: Bereitet das Zuhören Spaß und wodurch wird dies deutlich gemacht? Beschreibt der Let's Player das Handeln mit der Figur? Werden den Zuschauer authentisch Gefühle vermittelt? Und was genau erzählt der Let's Player, um für das Spiel zu werben oder auch sein Hintergrundwissen mitzuteilen?
Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum
In einer Mikroanalyse können die Lernenden ein ausgewähltes Kriterium anhand von drei gekürzten Transkriptionsauszügen anhand von "HIAT" (Westerhoff, E.J. 2020, S. 3 ff.) untersuchen (Material 4-6). Teile des Erwartungshorizont s(Material 7) könnte auch als Tippkarte genutzt werden, um die 'Suche' nach Äußerungen und Prozeduren zu vereinfachen.
Der Videoeinstieg wird besonders zum Werben des Spiels genutzt: Der Let’s Player schwärmt regelrecht davon und verwendet sogar Vergleiche oder eine Neuschöpfung ("bei ganz weitem"). Dabei pausiert er auch immer wieder für mehrere Sekunden, um seine Worte wirken zu lassen und damit die Spannung für das nachfolgende gemeinsame Abenteuer noch mehr ansteigen zu lassen. Nach dem Intro verwendet der Let’s Player Gronkh Adverbien (Partikeln). Hierdurch werden die jeweiligen Aussagen über die Aufmachung des Spiels verstärkt. Es wird nicht als „schön“ sondern als „so schön“ beschrieben.
Die Let’s Player müssen beim Spielen dafür sorgen, dass die Zuschauer*innen die gesamte Zeit über unterhalten werden. Dies erfolgt im ersten Levelabschnitt durch die Geschichte, die vom Let’s Player ausgeschmückt wird. Es wird eine freundliche Szenerie mit warmen Farben, Lichteffekten und eine Naturlandschaft mit gemütlicher Höhle dargestellt. Der YouTuber unterstreicht die Stimmung mit einer ruhigen Sprechweise und seiner Betätigung als Märchenerzähler. Dies lässt ihn authentisch wirken und zeigt, dass er Spaß am Spielen hat.
Zudem macht es die ohnehin schöne Geschichte noch interessanter und persönlicher und die Zuschauer*innen wollen nun wissen, wie sie mit Gronkh als Spieler und Erzähler weitergeht. Darüber hinaus spricht er die Zuschauer*innen mit „wir“ direkt an, was suggeriert, dass sie gemeinsam das Abenteuer spielen.
Dieses Ansprechen der Zuschauer*innen erfolgt im zweiten Spielabschnitt (Level B) erneut, um sie nicht zu langweilen und weiter am Spiel teilhaben zu lassen.
Die zusätzliche Sprachübernahme der virtuellen Spielfigur trägt zur Unterhaltung bei, wirkt aber auch authentisch. Vor allem wenn sich die süße Figur verletzt „Autsch!“ fühlt man als Zuschauer*in direkt mit und kann sich mehr mit den Figuren und der Geschichte identifizieren.
Die ungenauen Aussagen „glaube“ und „ich weiß nicht genau“ zeigt, dass der Let’s Player das Spiel bisher noch nicht spielte, aber die Ehrlichkeit macht ihn nahbarer. Er wirkt nicht wie ein Profi-Spieler, sondern reagiert so, wie die Zuschauer*innen selbst reagieren würden, wenn sie ein unbekanntes Spiel erlernen müssen.
Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum
Nachdem die Analyse durchgeführt wurde, können die Schüler*innen diskutieren, ob das analysierte Spiel ein gutes Let’s Play Video ist, ob es sich um ein sehenswertes Format handelt und ob bspw. solche Videos nur Gamer*innen anspricht. Zudem sollten die Schüler*innen auch offen über die Risiken der Rezeption von Videospielen diskutieren. Bei der Rezeption von YouTube Videos muss beachtet werden, dass auch Videospiele angeschaut werden können, die nicht für jedes Alter der Zuschauer*innen geeignet sind. Videospiele, die nicht von den Eltern erlaubt werden, können somit problemlos auf YouTube verfolgt werden. Auch machen Let’s Plays Lust auf das „Selberspielen“, was somit zu einem Anstieg der Rezeption von Videospielen führt.
Der Spieleratgeber NRW umfasst nicht nur Hilfen für die Familien, bewertet und testet auch Videospiele aller Art auf ein empfohlenes Alter aus pädagogischer Sicht. Die Initiative SCHAU HIN! befasst sich zudem mit Spiele-Trends, Risiken und Altersfreigaben von Videospielen und bietet kostenloses Begleitmaterial für Lehrer*innen und Erziehungsberechtigte.
Literatur
Gronkh (2015). YouTube Kanal: ORI AND THE BLIND FOREST [001] - Bittersüße Begegnung: https://www.youtube.com/watch?v=sFuBHRO5DZA am 16.07.2021 abgerufen.
KMK - Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. (2004). Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss. München: Wolters Kluwer.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. (2018). JIM 2017 - Jugend, Information, (Multi-) Media. Stuttgart: Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg.
Spieleratgeber NRW (2021): ComputerProjekt Köln e.V.: www.spieleratgeber-nrw.de am 16.07.2021 abgerufen.
Westerhoff, Eric Jean (2020): Transkribieren mit EXMARaLDA. Einführung in die Verschriftlichung gesprochener Sprache. Dortmund.